La Grotta della Fenice – Una Passione Inconfessabile
La Grotta della Fenice – Una Passione Inconfessabile
2. September – 19. November 2022, Galerie Falko Alexander, Venloer Str. 24, 50672 Köln
Sollen sich andere in der Zukunft wähnen, Tim Berresheim hockt in seiner Höhle und bearbeitet den Faustkeil. Ausgerechnet einer, der die computergenerierte Kunst seit 20 Jahren lustvoll nach vorne treibt, stellt ab aufs Steinzeitnarrativ. Wie early ist dieser Bird? Berresheim fragt sich das immer wieder. Er will früh dran sein, der Erste vielleicht. Aber er will sich auch nicht hinreißen lassen von der Behauptung eines Fortschritts, der sich noch nicht als solcher erwiesen hat. Berresheims großformatige Leinwandarbeiten tragen die Leidenschaft im Namen, „Una Passione arcobaleno media“ oder „Una passione ornamentale più piccola“. Die bunten Farbbüschel demonstrieren Präsenz von malerischer Qualität. Jedes feine Härchen basiert auf einem UVW Map ummantelten Polygon. Die Kompositionen sind errechnet mit Sampling-Stufe zehn. Im Vergleich zu früheren Arbeiten ist da erkennbar mehr Glanz, mehr Schwung – mehr Pinselstrich, will man meinen. Nur dass eben kein Pinsel zum Einsatz kam. Mithilfe des Computers bringt Tim Berresheim das Ungesehene in die Welt. Er sucht und schafft Bilder jenseits der Grenzen menschlicher Wahrnehmung. Multi- statt Zentralperspektive, Gleichzeitigkeit satt Kausalverkettung, Überlagerung statt Ausschnitt. Seine Fotoarbeiten auf Baryt zeigen Räume, die nicht sind, nicht seien können und doch als gezielt auseinandergeschnittene, ineinander verzahnte Laserscans historischer Gebäude unmittelbar auf eine analoge Realität und die Hand des Künstlers verweisen. Tim Berresheim sitzt in seiner Höhle, um ihn liegt alles in Asche. Die ganze Welt liegt in Asche – buchstäblich jedenfalls nennenswerte Teile davon, metaphorisch noch mehr, weil der Kipppunkt der Glückseligkeit überschritten, die Rettung ungewiss erscheint. Berresheim sucht die Stelle, an der der Phönix erneut der Glut entsteigen wird. Das war schon einmal so. 2010, „Phoenix – The Guilty Pleasure“: Berresheims erste Ausstellung in den USA nach dem Bankencrash. Der Künstler frönte der schamlosen Hingabe an eine formalästhetische Schönheit. Heute tut er es wieder, hat es eigentlich immer getan. Das visuell Reizvolle ist Treiber seiner forschenden Praxis, nicht aber ihr Zweck. Berresheims neueste Arbeiten sind von überraschender Strenge und Klarheit. Ein Eingeständnis der Ernsthaftigkeit, mit der er Ausdrucksformen des Digitalen erschließt. Berresheims technische Finesse lässt sich über die Erfahrung seines Werks vielleicht nicht vollumfänglich verstehen, doch aber erahnen. Um ihr Potenzial erlebbar zu machen, inszeniert er Ausstellungen als Bühnenstück. Für „La Grotta della Fenice: Una Passione Inconfessabile” in der Galerie Falko Alexander wird eine großformatige Wandarbeit zur Kulisse einer reichhaltigen Erzählung vom frühen Phönix im Verlauf der Geschichte, der die Flügel ausbreitet, aufsteigt, ausbrennt, um aus eigener Asche neu zu werden. Berresheim bedient sich des Vergangenen, um von einer Gegenwart zu erzählen, die sich in die Zukunft lehnt. Er zitiert futuristische Körperentwürfe des 17. Jahrhunderts, die Architektur des eigenen Aufwachsens, die Opulenz des Barocks, Versatzstücke früherer Arbeiten und hippiesque Computer-Visionen prä Vernetzungsdystopie. Ein Blick in den Kopf des Künstlers offenbart einen irren Referenzrahmen, aus dem sich unterschiedlichste Narrative spinnen lassen, wobei es aber nie um weniger als das Ganze geht – das Ganze im Sinne von „alles auf einmal“. So dämmert es denn: Nicht wer das neueste iPhone in den Händen hält, erfasst schöpferische Höchstleistung; auf die irrsinnigsten Auswüchse technologischer Innovation hat die überwiegende Mehrheit aller iPhone-Besitzer*innen gar keinen Zugriff. Hinterm Screen sind die Menschen Höhlenbewohnende geblieben, scrollen auf niedriger Entwicklungsstufe nach dem, was kommen mag. Tim Berresheim agiert in seiner digitalen Höhle als Autor der Utopie. Sein Faustkeil ist kein Gadget, er ist ein Transformationswerkzeug.
Anna Meinecke